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Emser Depeche

Aus einer Mücke einen Krieg machen

Es herrschte eine gespannte Stille am Tisch. Niemand als, sprach oder trank. Den drei wichtigsten Männern Preußens, Reichskanzler Otto von Bismarck, Kriegsminister Albrecht von Roon und Generalstabschef Helmuth von Moltke, waren Appetit und Sprache abhanden gekommen. Die Nachricht, die sie an jenem 13. Juli 1870 aus dem fernen Ems erhalten hatten, änderte alles. So empfand es die Berliner Runde. Doch was war geschehen?

Das Unheil hatte sich in Spanien zusammengebraut. 1868 wurde dort Königin Isabella II. vom Thron gejagt, eine gebürtige Bourbonin. Die Suche nach einem Ersatz für die frankreichfreundliche Regentin führte die Spanier durch halb Europa und ließ sie auch beim Hause Hohenzollern anklopfen.

Man wandte sich allerdings nicht an die preußischen Hohenzollern, sondern an die Hohenzollern aus Sigmaringen im heutigen Baden-Württemberg. Dieser Zweig war katholisch und seit Jahrhunderten von seiner nördlichen Verwandtschaft emanzipiert, der angefragte Prinz Leopold von Sigmaringen über seine Großmutter sogar mit dem französischen Kaiser verwandt.

Aus französischer Sicht wäre daher alles halb so schlimm – wenn nur der Name „Hohenzollern“ nicht wäre. Dieser reizte wie ein rotes Tuch: Man fürchtete in Frankreich, von der Hohenzollern-Dynastie gleichsam umklammert zu werden, wenn diese in Preußen und Spanien herrschen sollte. Entsprechend heiß liefen die diplomatischen Kanäle, zumal im Mai 1870 mit Antoine de Gramont ein ausgesprochener Preußenfeind zum Außenminister Frankreichs ernannt wurde.

In diesem Monat sagte Prinz Leopold von Hohenzollern zu, den spanischen Thron zu besteigen – nachdem er zuvor lange gezögert und zweimal abgesagt hatte. Die treibende Kraft hinter der Zusage war Bismarck, der sich die Gelegenheit nicht nehmen lassen wollte, Frankreich eine diplomatische Niederlage beizubringen.

Außenminister Gramont wurde nicht müde zu betonen, dass die spanische Thronfrage die französischen Interessen betreffe, die es zu verteidigen gelte. Dass dieses Interesse durch kein Völkerrecht gestützt oder moralisch begründet war, interessierte nicht. Hinzu kam die fatale Fehleinschätzung, man sei in Frankreich für einen Waffengang gut gewappnet. So konnte Gramont unverhohlen mit Krieg drohen, falls Leopold nicht offiziell auf die Kandidatur verzichte.

Ein Hohenzoller auf Spaniens Thron? Für Frankreich der Horror

Die Kriegsdrohungen zeigten Wirkung: Am 12. Juli 1870 verzichtete Prinz Leopold auf den Thron. Kaiser Napoleon III. atmete in Paris auf. Nur einem genügte das nicht: Außenminister Gramont. Er gab seinem Botschafter Benedetti den Auftrag, zu König Wilhelm zu reisen. Dieser hielt sich zur Kur im beschaulichen Ems an der Lahn auf. Hier sollte der französische Botschafter vom Preußenkönig die Zusage erwirken, dass nie wieder ein Hohenzoller für den spanischen Thron kandidierte.

Morgens am 13. Juli passte Benedetti den König auf der Emser Kurpromenade ab. Wilhelm spazierte in Zivil und wurde vom Franzosen fern jeglicher Etikette bedrängt, die von Gramont erwünschte Erklärung abzugeben. Der König teilte dem Franzosen mit, dass er mit der ganzen Sache wenig zu tun habe und der falsche Ansprechpartner sei. Trotzdem lief er ihm zusätzlich am Mittag Leopolds Verzichtserklärung zukommen.

Über das Gespräch mit dem Botschafter hatte Wilhelm eine Abschrift anfertigen lassen und sie zu Bismarck geschickt. Der könne die Abschrift ganz oder teilweise veröffentlichen, falls er es für notwendig erachte. Das Telegramm traf wenig später in Berlin ein und lag vor Bismarck, Roon und Moltke. Den dreien war der enthaltene Zündstoff klar – und entsprechend groß ihre Niedergeschlagenheit, wie Bismarck später in seinen Erinnerungen berichtet.

Der Reichskanzler fragte Generalstabschef Moltke nach dem Stand der Rüstung des preußischen Militärs, und nachdem dieser angab, dass ein rascher Kriegsausbruch sogar von Vorteil sei, holte Bismarck seinen Stift heraus. Er verfälschte nicht – er kürzte. Ganz so, wie es das königliche „teilweise“ erlaubte. Heraus kam die sogenannte „Emser Depesche“, die für damalige Verhältnisse ungewohnt kurz und schroff ausfiel und mit dem Satz endete: »Seine Maj. der König hat es darauf abgelehnt, den Franz. Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, dass S. Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe.“

Die »Norddeutsche Allgemeine Zeitung« brachte diese „Emser Depesche“ am 13. Juli in der Abendausgabe. Tags darauf erschien sie in der französischen Zeitung „Soir“ – und schlug ein wie eine Bombe. In so einem Ton lässt die Grande Nation nicht mit sich reden! Der französische Ministerrat traf sich zu Sondersitzungen. Und auf den Straßen sammelte sich die aufgebrachte Menge. „Zum Rhein!“, war überall zu hören. Fünf Tage später erklärte Frankreich Preußen den Krieg. Und stand vor der ganzen Welt als Kriegstreiber da.

Jochen Opperman, Geschichte 6/2020 S. 28f

Bild der Emser Depesche

Emser Depeche https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Depesche.jpg#filelinks

Lage von Hohenzollern Sigmaringen

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Map-Prussia-Hohenzollern.svg
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Geburt einer Nation

Nach der Schlacht bei Sedan scheint die nationale Einigung zum Greifen nah, als ungeahnte Probleme auftauchen. Doch dem preußischen Staatsmann Otto von Bismarck gelingt es, das Deutsche Reich aus der Taufe zu heben

Endlich! Die Erleichterung steht Preußens Ministerpräsidenten Otto von Bismarck ins Gesicht geschrieben, als er seinen Mitarbeitern verkündet: „Die deutsche Einheit ist gemacht und der Kaiser auch.“ Bis dahin war es ein steiniger Weg. Dass die süddeutschen Staaten Schwierigkeiten machten, hatte Bismarck noch erwartet. Doch als sich der preußische König Wilhelm I. weigerte, die Kaiserwürde anzunehmen, stand plötzlich alles infrage. Bismarck musste seine ganze Überredungskunst einsetzen, um den alten Monarchen irgendwie umzustimmen.

Mit dem Ende des napoleonischen Kaiserreichs war das wichtigste außenpolitische Hindernis für einen deutschen Nationalstaat Nur die süddeutschen Staaten zierten sich noch. Lediglich Baden sprach sich vorbehaltlos für einen Anschluss an den von Preußen dominierten Norddeutschen Bund aus — Großherzog Friedrich I. von Baden war Wilhelms Schwiegersohn. Bayern und Württemberg hingegen zeigten Bismarck die kalte Schulter. Wie konnte man sie von der Einheit überzeugen? Hier gingen die Meinungen auseinander.

Bayern und Württemberg müssen erst noch überzeugt werden

Wahrend Preußens Kronprinz Friedrich Wilhelm dafür plädierte, massiven Druck auszuüben, setzte Bismarck auf den Verhandlungsweg, auch um den Schein der Freiwilligkeit zu wahren. Zudem vertraute er darauf, dass sich auch die Könige von Bayern und   dem spontan aufgekommenen Patriotismus nach der Schlacht von Sedan nicht entziehen konnten. Hinzu kam: Wie sollten die beiden süddeutschen Staaten angesichts der wirtschaftlich engen Verflechtungen im Zollverein weiterhin selbstständig bestehen? Bismarck war sicher, dass man auch in München und Stuttgart über diese Frage nachdachte. Warum also sollte man den Beitritt erzwingen und damit anhaltenden Widerstand auslosen, wenn scheinbare Freiwilligkeit zur Grundlage einer soliden Partnerschaft werden konnte?

Trotzdem waren es schwierige Verhandlungen, die im Oktober und November 1870 in Versailles geführt wurden. Aber Bismarck war durchaus bereit, auf die Länder zuzugehen, sodass Bayern und Württemberg mit dem guten Gefühl abschließen konnten, Zugeständnisse herausgeschlagen zu haben. Bayern durfte seine eigene Eisenbahn-, Post- und Telegrafenverwaltung behalten und konnte damit Tag für Tag seine Eigenstaatlichkeit demonstrieren. Das Gleiche galt hinsichtlich der Post für Wittenberg. Hinzu kam, dass das bayerische Heer praktisch seine Selbstständigkeit bewahrte und der künftige Kaiser im Frieden nur ein „Besichtigungsrecht“ erhielt, um sich von der Kriegstauglichkeit der Truppen zu überzeugen. Auch der König von Württemberg besaß weiterhin das Recht einer eigenen Heeresverwaltung und der Ernennung von Offizieren.

Eigene Biersteuern in Bayern? Die sind für Bismarck kein Problem

Während man sich in München und Stuttgart Über die errungenen Zugeständnisse freute, hagelte es auf preußischer Seite massive Kritik an den sogenannten Reservatrechten (Sonderrechten) Bayerns und Württembergs. Eine eigene Post- und Eisenbahnverwaltung mochte man vielleicht noch hinnehmen, ebenso die eigenständige Bier- und Branntweinbesteuerung. Aber dass die Heere der beiden Staaten praktisch selbstständig bleiben durften, hielt man für mehr als bedenklich. Das Band, das das Kaiserreich einigen sollte, sei damit auf unzulässige Weise zugunsten einzelner Interessen gelockert worden, gaben die Kritiker zu bedenken.

Doch Bismarck blieb gelassen, und wie sich später zeigen sollte, völlig zu Recht. Er sah voraus, dass sich die Sonderrechte in Zukunft für das Reich als mehr oder weniger bedeutungslos erweisen würden. Tatsachlich bestand an der unbedingten Loyalität Bayerns und Württembergs nie der geringste Zweifel, im Gegenteil. Weil sie nicht das Gefühl haben mussten, Bismarck habe sie bei der Einigung über den Tisch gezogen, entwickelte sich zwischen München, Stuttgart und der preußischen Regierung ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis.

Bismarcks Taktik, den Schein der Freiwilligkeit zu wahren, hatte gesiegt. Der Abschluss der Vertrage mit den süddeutschen Staaten zwischen dem 15. und dem 25. November 1870 war sein ganz persönlicher Triumph.

Doch noch war langst nicht alles in trockenen Tüchern, denn die Kaiserfrage gestaltete sich nicht minder zäh. Als „alter Preuße“ setzte Wilhelm I. der neuen Würde erheblichen Widerstand entgegen. Das lag zum Teil an seiner Abneigung gegen alle Neuerungen überhaupt, aber auch an seiner Angst, preußische Tradition und Vergangenheit würden in einem geeinten Deutschland in Vergessenheit geraten.

Und nicht zuletzt störte es ihn wohl auch, dass die Idee, einem Hohenzollern die Kaiserkrone anzubieten, wahrend der 1848er-Revolution entstanden war. Damals hatte sich sein älterer Bruder Friedrich Wilhelm IV. als „König von Gottes Gnaden“ strikt geweigert, eine Krone aus der Hand von „Metzgern und Bäckern“ gemeint war die Frankfurter Nationalversammlung — entgegenzunehmen.

So war viel Überzeugungsarbeit nötig, um Wilhelm an die Kaiseridee zu gewöhnen, wobei Bismarck sowohl! vom Kronprinzen als auch vom Großherzog von Baden unterstützt wurde.

Mitte Dezember schrieb der König resigniert an seine Gemahlin Augusta: „Die Verhältnisse drangen mich zu etwas, was ich nur schweren Herzens annehmen kann und doch nicht mehr ausschlagen darf.“ Alle Probleme beseitigt? Weit gefehlt! Jetzt nämlich brach sich plötzlich der dynastische Dünkel Bahn. Wenn Wilhelm schon bereit war, das Unvermeidliche über sich ergehen zu lassen, dann wollte er kein „Deutscher Kaiser“, sondern „Kaiser von Deutschland“ werden, um den Machtzuwachs des Hohenzollernhauses aller Welt zu demonstrieren. Mühsam musste Bismarck seinem König erklären, dass verfassungsrechtlich gesehen nur der Titel „Deutscher Kaiser“ möglich war, da ein „Kaiser von Deutschland“ den „landesherrlichen Anspruch auf die nichtpreußischen Gebiete“ einbeziehe und somit nicht infrage kam.

Fürsten und Militärs sind die Gründer des deutschen Kaiserreichs

Auch damit war die Kaiserfrage noch keineswegs geklärt. Als das Deutsche Reich am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des Schlosses Versailles aus der Taufe gehoben wurde, sah man sich gezwungen, die Titelfrage zu umgehen, sodass der Großherzog von Baden sein Hoch auf „Kaiser Wilhelm“ ausbrachte. Aber wenigstens musste Wilhelm die Kaiserkrone nicht aus der Hand von „Bäckern und Metzgern“ entgegennehmen, im Gegenteil. Es war Bayerns König Ludwig II., der ihm ganz offiziell die Krone anbot und auch die übrigen Herrscher der 22 deutschen Staaten und drei freien Städte dazu aufforderte. Die Vertreter des Volks spielten bei der Proklamation keine Rolle. Fürsten und Militärs waren die wahren Gründer des deutschen Kaiserreichs.

Bei allem Jubel über die nationale Einheit Deutschlands war freilich nicht zu übersehen, dass bereits an diesem Tag die Saat für den nächsten Krieg gelegt wurde. Die Zeremonie der Reichsgründung im Schloss des Sonnenkönigs war eine unglaubliche Demütigung der unterlegenen Franzosen, die das Verhältnis zwischen beiden Staaten nachhaltig vergiftete – und mehr als nur ein bitterer Wermutstropfen in Bismarcks politisch-diplomatischem Meisterstück.

Karin Feuerstein-Prasser, Geschichte 6/2020 S. 56ff

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Streit um den Kaisertitel

Kronprinz Friedrich Wilhelm (1831–1888) in einem Tagebucheintrag über ein Treffen des preußischen Staatsrates[1]Treffen aller Minister am 17. Januar 1871: 

„Hauptquartier Versailles, den 17. Januar 1871
Beim König fand nachmittags eine Sitzung statt. (…) in überheiztem Zimmer wurde drei Stunden über den Titel des Kaisers, die Benennung des Thronfolgers, die Stellung der Königlichen Familie, des Hofes und Heeres zum Reich usw. beraten. Hinsichtlich des kaiserlichen Titels bekannte Graf Bismarck, dass bereits bei den Verfassungsbesprechungen die bayerischen Abgeordneten und Bevollmächtigten die Bezeichnung ‚Kaiser von Deutschland‘ nicht hätten zulassen wollen, und dass er endlich ihnen zuliebe, aber allerdings, ohne se. Majestät vorher zu fragen, diejenige eines ‚Deutschen Kaisers‘ zugestanden habe. Diese Bezeichnung, mit welcher gar kein eigentlicher Begriff zu verbinden ist, missfiel dem König ebenso wie mir, und wir taten unser Möglichstes, um an ihrer statt das ‚von Deutschland‘ zu erlangen. Graf Bismarck blieb jedoch dabei. (…)

Die Frage der Reichsfarben erregte wenig Bedenken, da der König nichts Wesentliches gegen eine schwarz-weiß-rote Kokarde[2]Flagge einwandte, umso weniger als, wie er sich ausdrückte, selbige nicht wie die schwarz- rot-goldene aus dem Straßenschmutz[3]Flagge und Farben der deutschen Revolutionäre von 1848, die gegen die Monarchie protestiert haben erstiegen wäre. (…)

Je deutlicher sich nun aber die Konsequenzen von ‚Kaiser und Reich‘ im Lauf der Verhandlungen zeigten, desto aufgebrachter wurde der König. schließlich brach er in die Worte aus, nur ein Scheinkaisertum übernähme er, nichts weiter als eine andere Bezeichnung für ‚Präsident‘; (…) Ferner sagte er in äußerster Aufregung, er könne uns gar nicht schildern, in welcher verzweifelten Stimmung er sich befände, da er morgen von dem alten Preußen, an welchem er allein festhielte und fernerhin auch festhalten wollte, Abschied nehmen müsste. Hier unterbrachen schluchzen und Weinen seine Worte. (…)“

Quelle: zitiert nach: Johannes Hohlfeld: Deutsche Reichsgeschichte in Dokumenten 1849–1926, 2 Bde. Berlin 1927, Bd. 1, S. 69–76

References

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1 Treffen aller Minister
2 Flagge
3 Flagge und Farben der deutschen Revolutionäre von 1848, die gegen die Monarchie protestiert haben
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Der deutsche Nationalstaat von 1871 – War die Gründung des Kaiserreichs alternativlos‪?‬

Deutschlandfunk Kultur vom 13.01.2021

https://www.deutschlandfunkkultur.de/der-deutsche-nationalstaat-von-1871-war-die-gruendung-des.976.de.html?dram:article_id=490739

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Proklamierung des Deutschen Kaiserreichs

Die Ausrufung des preußischen Königs Wilhelm zu Deutschen Kaiser Wilhelm I. im Spaiegelsaal von Versailles. Gemalt 1885 von Anton von Werner

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:A_v_Werner_-Kaiserproklamation_am_18_Januar_1871(3._Fassung_1885).jpg

Anton von Werner beschreibt in seinen Erinnerungen die Vorgänge am 18. Januar 1871

„Ich begab mich um 11 Uhr ins Schloss (…). Und nun ging in prunklosester Weise und außerordentlicher Kürze das große historische Ereignis vor sich, das die Errungenschaft des Krieges bedeutete: die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches! (…) Der Vorgang war gewiss historisch würdig, und ich wandte ihm meine gespannteste Aufmerksamkeit zu, zunächst natürlich seiner äußeren malerischen Erscheinung, notierte in aller Eile das Nötigste, sah, dass König Wilhelm etwas sprach und Graf Bismarck mit hölzerner stimme etwas Längeres vorlas, (…) und erwachte aus meiner Vertiefung erst, als der Großherzog von Baden neben König Wilhelm trat und mit lauter Stimme in den Saal hineinrief: ‚seine Majestät, Kaiser Wilhelm der siegreiche, er lebe hoch!‘ ein dreimaliges Donnergetöse unter dem Geklirr der Waffen antwortete darauf (…).

Der historische Akt war vorbei (…), und ich sah dann den Kaiser die Stufen der Estrade hinabschreiten, an Bismarck vorbei, den er nicht zu bemerken schien. Neun Jahre später (…) gab mir Fürst Bismarck die Erläuterung zu dieser kleinen Episode, die ich damals dem nach Schluss des Staatsaktes entstandenen Durcheinander der sich auflösenden Versammlung zuschrieb.“

Quelle: Anton von Werner: Erlebnisse und Eindrücke, 1870–1890. Berlin 1913, S. 31ff.